„Pionierfunktionen für mehr gender awareness übernehmen.“
Ein persönlicher Nachruf für Ulla Knapp
efas trauert um Ulla Knapp, die eine der Mitbegründerinnen des Netzwerkes war. Ulla Knapp war Professorin im Fachbereich Volkswirtschaftslehre an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik (HWP). Ihre Berufung an die HWP war im WS 1992/1993 als VWL-Professorin mit einer „Gender“-Orientierung gegen vielfältige Hindernisse durchgesetzt worden und die erste ihrer Art in Deutschland. Die Professur der Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Ökonomik des Geschlechterverhältnisses hatte eine hohe strukturelle Relevanz1 und wurde nahtlos in die im Jahr 2005 neu gegründete Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg (UHH) übernommen.
Vor fast zehn Jahren, am Ende meines ersten Semesters an der HWP, bin ich ihr zum ersten Mal begegnet. Ich stand 2001 am Beginn meines Studiums an der HWP, das ein interdisziplinäres Grundstudium für alle Studierenden umfasst. Die Soziologie war für mich zu diesem Zeitpunkt sehr viel interessanter als die Volkswirtschaftslehre, die sich mir ohne rechten Realitätsbezug präsentierte und für meine Erfahrungen keine Erklärungen lieferte.
Ganz anders die VWL-Kurse bei Ulla Knapp. Mit ihr erlebte ich in den folgenden Jahren eine Professorin, die in einer für mich faszinierenden Art und Weise historische Entwicklung, Sozialpolitik und empirische Wirtschaftsforschung miteinander verband und die Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten transparent machte. Bei ihr wurden abstrakte, theoretische Modelle mit Leben erfüllt. „Gute Modelle sind wie Landkarten, denn sie helfen einen Ausschnitt aus der sinnverwirrenden, komplizierten Wirklichkeit zu verstehen. Aber die getroffenen Annahmen stehen am Anfang des Modells und es ist immer nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit“, war eine ihrer Erklärungen für die Erstsemester und dieser pragmatische Ansatz erleichterte es ihren Studentinnen und Studenten, Modelle als Instrument der Wirtschaftswissenschaften, als Reduktion von Komplexität zu akzeptieren.
Ihr Interesse galt vor allem dem Zusammenwirken von Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Geschlechterverhältnis aus makroökonomischer Sicht. In ihren Vorlesungen ‚Arbeitsmarkt und Beschäftigung‘ und ‚Ökonomik des Geschlechterverhältnisses‘ waren die ökonomischen Bedingungen für Frauen immer wieder ein wichtiger Bestandteil. Am Ende meines ersten Kurses bei ihr war ich sicher, dass die Volkswirtschaftslehre, so wie sie sie verstand, das richtige Fach für mich war und so betreute Ulla Knapp diverse Hausarbeiten und meine Diplomarbeit. In meinem fünften Semester übernahm ich das Tutorium für ihren VWL-Grundkurs und wurde später ihre studentische Hilfskraft.
Ulla Knapp gelang es wunderbar, ihren Studentinnen und Studenten den gemeinsamen Ursprung von Soziologie und Volkswirtschaftslehre zu vermitteln. Ihr interdisziplinärer Ansatz verdeutlichte, ganz im Sinne der alten Institutionenökonomik, sowohl den Einfluss von Marktunvollkommenheiten und Marktversagen als auch die Wirkung von Institutionen und machte sie zu einer glaubhaften Kritikerin des Neoliberalismus. Sie stellte in ihren Vorlesungen viele, anspruchsvolle und messerscharf formulierte Fragen und erwartete solche auch von uns. Einfache Antworten gab sie nicht, regte aber im Diskurs an, scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen, die impliziten Annahmen hinter Modellen, Studien und Statistiken aufzudecken und diese differenziert zu analysieren.
Eine Herausforderung für alle Studentinnen und Studenten waren ihre umfangreichen und mit Akribie zusammengestellten Skripte, die sie ständig aktualisierte und zu deren Entstehung der kreative Umgang mit dem Fotokopierer durch die jeweilige studentische Hilfskraft eine notwendige Bedingung war. Das Skript für den Standard-Grundkurs zum Beispiel war nicht nur ein ziemlich detaillierter Leitfaden durch ihre Vorlesung, sondern geradezu eine Gebrauchsanweisung zum kritischen Umgang mit der VWL für Erstsemester und ermöglichte auch Anfängerinnen und Anfängern eine bewusste Auseinandersetzung mit dem neoklassischen Paradigma. Diese Skripte ergänzten die fehlende Darstellung des Geschlechterverhältnisses in den deutschen VWL-Lehrbüchern und Ulla Knapp war nicht umsonst stolz auf die bunte Mischung aus Texten, Statistiken, Biografien, Definitionen und Aufgaben.
Durch ihre Krankheit selbst auf Hilfe angewiesen und Mutter eines Sohnes stand sie den Nützlichkeitsüberlegungen und dem angeblich rationalen Verhalten des homo oeconomicus sehr kritisch gegenüber. So schreibt sie in ihrem Text ‚Alva Myrdal – Oder warum Schweden?‘ „…Becker u.a. hatten ihr Konstrukt des Geschlechterverhältnisses in Algebra und Grafiken formalisiert, und auf die formale Eleganz, nicht auf die Relevanz, kommt es in der VWL heute zu allererst an.“2
Und weiter: „Vom Inhaltlichen Niveau her ist Alva Myrdals Ansatz dem Becker’schen weit überlegen. So etwa arbeitet sie im Unterschied zu Becker heraus, dass das Gebärverhalten erst mit den Rationalisierungsprozessen der Neuzeit als individuelle Entscheidungssituation konstruiert werden kann, sie weiß um die historische Bedingtheit von Wahlhandlungen und Wahlhandlungstheorien.“3 Eine fundierte Empirie war für Ulla Knapp der Grundstock ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ihre Texte, penibel und unter oft schwierigen Umständen recherchiert, sind in klarer, verständlicher Sprache und in einem frischen Stil geschrieben. Die häufig provokanten Titel wie: „Eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre für Nicht-Mathematiker, Frauen und andere Minderheiten“ oder „Kinder, Inder und Frauen“4 luden auch Laien zum Lesen ein.
Ein persönliches Anliegen war ihr die Unterstützung ihrer Studenten und vor allem ihrer Studentinnen in nahezu allen Lebenslagen. Als Vertrauensdozentin der Hans-Böckler-Stiftung und als betreuende Dozentin des internationalen Master-Studienganges war sie Anlaufstelle für viele in- und ausländische Studentinnen, die sie auch privat betreute. Auf der Gedenkveranstaltung, die am 6. Januar 2011 in den Räumen der ehemaligen HWP und des heutigen Fachbereichs Sozialökonomie der Universität Hamburg stattfand, zeugten die vielen Schilderungen ehemaliger Studentinnen von ihrer großen Herzensgüte und den vielfältigen Ermutigungen, aber auch ihren hohen Erwartungen, mit denen sie Karrieren vorangebracht hat.
Ulla Knapp gehörte mit zu den Gründungsmitgliedern von efas, das ihr als ein berufliches Netzwerk sehr wichtig war. efas ermöglichte ihr eine Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs, auch zu einem Zeitpunkt als jede Fahrt Hamburg-Berlin zu einer sehr anstrengenden und aufwendigen Reise wurde. Angela Fiedler, mit der sie eine enge Freundschaft verband, hat sie sehr unterstützt, indem sie in Berlin ihre Gastgeberin war oder dafür sorgte, dass efas-Treffen in Hamburg stattfanden.
Ich habe Ulla Knapp als starke Persönlichkeit mit rauer Schale und sehr empfindsamen Seiten schätzen gelernt. Was ihr besonders wichtig war, kommt vielleicht am besten in einer Fußnote des Aufsatzes ‚Alva Myrdal – Oder warum Schweden?‘ zum Ausdruck. Der Text widmet sich den frauenpolitischen Schriften von Alva Myrdal, der ‚Grande Dame’ der schwedischen Sozialdemokratie und Frauenbewegung. In einem Gespräch mit ihrer Tochter Kaj bezeichnet Alva Myrdal diese Ziele als singende Blätter, die es miteinander zu vereinen gilt:
• eine wunderbare Zweisamkeit mit einem geliebten Mann aufbauen,
• Kinder und Familie um sich haben,
• mit anderen zusammen etwas bewirken und verändern dürfen.
Ich glaube, es waren auch ihre eigenen Prioritäten, die Ulla Knapp in diesen Zeilen gefunden hatte und die ihr die Kraft gegeben haben, Lehre, Forschung und Familie trotz angeschlagener Gesundheit miteinander ‚singen‘ zu lassen.
Cornelia Schmidt
1) Vgl. den Beitrag von Ulla Knapp im efas- Newsletter Nr. 1: Gender Studies an der Hoch- schule für Wirtschaft und Politik Hamburg, S. 4-6. Link: http://efas.htw-berlin.de/wp-content/ uploads/nl111.pdf
2) Der Aufsatz „Alva Myrdal oder: Warum Schweden?“ ist 2005 in dem Sammelband „Lebenswerke. Porträts der Frauen und Geschlechterforschung“ im Verlag Barbara Budrich erschienen.
3) Vgl. Ulla Knapp (2005): Alva Myrdal – Oder warum Schweden? In: Kortendiek, Beate/ Münst, Agnes S. (Hg.): Lebenswerke. Porträts der Frauen- und Geschlechterforschung. Verlag Barbara Budrich: Opladen, S. 34-57.
4) Aufsatz in der ersten efas-Publikation „Gender Matters. Feministische Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik“, herausgegeben von Friederike Maier und Angela Fiedler und erschienen in Berlin bei edition sigma 2002, S. 133-160.
Zur Autorin:
Cornelia Schmidt ist Betriebsberaterin für familienbewusste und geschlechtergerechte Personalpolitik bei der Worklife Koordinierungsstelle Familie und Beruf in Hamburg – KWB e. V. und Mitglied im Wissenschaftlichen Ausschuss von efas.