13. efas-Fachtagung am 19./20.11.2015
„Europa in der Krise – Zugänge und Ergebnisse der ökonomischen Geschlechterforschung“
Die 13. Jahrestagung des efas-Netzwerks stand unter der Überschrift „Europa in der Krise – Zugänge und Ergebnisse der ökonomischen Geschlechterforschung“. Zwei Tage lang diskutierten in der HTW Berlin internationale Referentinnen und Teilnehmer/innen die Auswirkungen der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Geschlechtergerechtigkeit und erörterten mögliche gleichstellungspolitische Reaktionen.
Brigitte Young plädierte im ersten Vortrag „Zentralbanken, Geldpolitik und Gendered Ungleichheiten: Asset Bias“ für die Stärkung der makroökonomischen Perspektive in der Forschung: Ungleichheit werde in den Gender Studies und der Feministischen Ökonomie meist als Problem von Arbeitsmärkten oder Sozial- und Gleichstellungspolitik analysiert, die Geldpolitik der Zentralbanken und deren Auswirkungen auf die Ungleichheit würden jedoch kaum untersucht. Am Beispiel der geldpolitischen Strategien des quantitative easing und der durch billiges Geld geförderten Aktienrückkäufe zeigte Young, wie die Geldpolitik mit Verteilungseffekten zwischen den Geschlechtern verbunden ist. Frauen, so die Hypothese, seien die Verliererinnen der aktuell niedrigen Zinsen, da diese insbesondere für Sparer/innen mit wenig Sparvolumen negativ seien, während die hohen Aktienrenditen eher wohlhabenderen (vermutlich männlichen) Personen zugutekämen. Damit sei Geldpolitik auch immer Sozialpolitik.
Francesca Bettio plädierte in ihrem Vortrag zu „Austerity and Gender Equality Policy: A Clash of Policies?“ für eine klare Trennung der Analyse der Gendereffekte der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise einerseits und der Austeritätspolitik andererseits. So habe die relative Geschlechtergerechtigkeit während der Krise auf dem Arbeitsmarkt insgesamt nicht ab-, sondern sogar zugenommen; da Männer von der Krise stärker betroffen gewesen seien, hätten sich Einkommen, Arbeitsmarktaktivität und Arbeitslosenrate der Geschlechter angeglichen. Gleichzeitig, so Bettio, sei europaweit jedoch eine ‚Balkanisierung‘ der arbeitsmarktbezogenen Geschlechtergerechtigkeit zu verzeichnen, wobei die Bilanz in Ländern mit starker Austeritätspolitik für Frauen am negativsten ausfalle. Für die Analyse genderbezogener Entwicklungen während der Krise seien daher nicht allgemeine Vorher-nachher-Vergleiche zielführend. Vielmehr müsse systematisch das Maß der Haushaltskonsolidierung in den einzelnen europäischen Ländern mit einbezogen werden.
Der Vortrag von Camille Logeay widmete sich der Geschlechtergerechtigkeit auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Unter dem Titel „Die Wirkung der Krise auf die Geschlechterverhältnisse am deutschen Arbeitsmarkt“ konstatierte Logeay, dass die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise kaum Spuren hinterlassen habe. Dementsprechend gebe es auch keine eindeutig bestimmbare Wirkung auf die Geschlechterverhältnisse; Gender Participation Gap, Gender Time Gap und Gender Pay Gap seien weitgehend stabil. In der anschließenden Diskussion wurde dieser Befund den Ausführungen von Young gegenüber gestellt und die relative Aussagekraft von Arbeitseinkommen als Indikator für Geschlechtergerechtigkeit reflektiert. Mögliche neutrale bzw. positive Effekte auf dieser Ebene würden unter Umständen durch die Zunahme an Kapitaleinkommen überlagert, wodurch sich die Ungleichheit bei den Einkommen verstärke.
Dass die Finanzmarktregulierung genderrelevante Auswirkungen hat, zeigte Helene Schuberth in ihrem Vortrag zum „Einfluss der europäischen Geld- und Fiskalpolitik auf die Geschlechtergerechtigkeit“. Sie stellte dar, inwiefern im Zuge nicht-konventioneller Maßnahmen der Geldpolitik wie dem quantitative easing stärkere Ungleichheiten in Kauf genommen werden, deren Abfederung der Fiskalpolitik überantwortet wird. Schuberth zufolge könne es nicht Aufgabe der Geldpolitik sein, unmittelbar in diese Verteilungseffekte einzugreifen, da sie hiermit überfordert sei. Als Problem sah sie, dass die erforderlichen fiskalpolitischen Maßnahmen dann allerdings häufig ausgeblieben seien. Es sei zu vermuten, dass eine Geldpolitik, die, um die Finanzkrise einzudämmen, die Vermögensbesitzer/innen zu Lasten der breiten Bevölkerung schützt, auch die Vermögensungleichheit zwischen Männern und Frauen verschärfe. Schuberth plädierte dafür, die Vermögensverteilung stärker in den Fokus der feministischen Ökonominnen zu rücken. Zugespitzt formulierte sie, dass der Kampf für die Einführung einer Vermögenssteuer so gesehen ein feministisches Projekt darstelle.
Es folgte die feierliche Verleihung des efas-Nachwuchsförderpreises. Ausgezeichnet wurden Tina Hundt für ihre Bachelorarbeit zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Dienst in der Bundeswehr“ und Norma Schmitt für ihre Dissertation mit dem Titel „Gender Stereotypes and Individual Economic Decision-Making“. Die Laudationen hielten Christine Rudolf und Miriam Beblo.
Der Freitag begann mit dem Forschungsforum, in dessen Rahmen vier spannende laufende Forschungsprojekte von efas-Mitgliedern vorgestellt und anschließend rege diskutiert wurden. Claudia Gather und Maria do Mar Castro Varela beschäftigen sich mit ambulanten privaten Pflegediensten und nehmen dabei insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftlichkeit und guter Pflege in den Blick. Zur Identifikation betrieblicher Strategien in der ambulanten Pflege, die gleichzeitig ethisch und wirtschaftlich sind, führen sie eine Mehrebenen-Analyse durch. Marc Gärtner und Monika Huesmann untersuchen flexible Arbeitsmodelle für Führungskräfte. Dabei nehmen sie verbreitete Arbeitszeitmodelle wie reduzierte Vollzeit oder Jobsharing in den Fokus, die von Führungskräften bisher selten gewählt werden. Mithilfe von Fokusgruppen-Workshops werden flexibel arbeitende Führungskräfte sowie ihr organisatorisches Umfeld zu ihren Erfahrungen befragt. Christine Rudolf und Silke Chorus analysieren im Rahmen der AG „Feministische Meso-/Makroökonomie I: die erweiterte VGR“ Möglichkeiten der zahlenmäßigen Erfassung des Volumens der bezahlten und unbezahlten Arbeit, um daraus die Bruttowertschöpfung der Care-Ökonomie als Teil der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abzuleiten. Das Projekt GeKo HR von Jochen Geppert und Karin Hildebrandt zielt darauf ab, Mitgliedern von Hochschulräten Gleichstellungswissen zu vermitteln und sie als Akteur/innen für den gleichstellungsorientierten Wandel an Hochschulen zu gewinnen. Dafür wird relevantes Wissen zielgruppenspezifisch aufbereitet und vermittelt.
Die abschließende Podiumsdiskussion wurde von Heike Joebges moderiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach Vorschlägen und Empfehlungen für Forschung und Politik, um Gender Equality zu erreichen. Das erste Statement gab Helene Schuberth ab. Zur ökonomischen Situation von Frauen, so stellte sie fest, gebe es bereits vielfältige Forschungen, allerdings konzentrierten sich diese meist auf die Effekte für Frauen, kaum aber auf die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diese verursachten. Sie plädierte dafür, einen stärkeren Fokus darauf zu legen, diese einflussreichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, wie sie mitgestaltet und verändert werden können. Dorothea Schäfer verwies auf die seit den 1990er Jahren geführte Wachstumsdebatte als Ansatz, um Genderthemen stärker in die Makroökonomie einzubringen. Aufgrund von Studienergebnissen, die besagten, dass das Wachstum eines Landes positiv mit dem Wachstum des Finanzsektors korreliere, hätten viele Länder ihren Finanzsektor gefördert. Schäfer schlug vor, analog dazu den Gender Equality Index zu nutzen und ihn mit Wachstum sowie weiteren landesspezifischen makroökonomischen Kennzahlen ins Verhältnis zu setzen und so den Einfluss von Gender Equality auf ökonomisches Wachstum zu untersuchen. Brigitte Young betonte, wie wichtig es sei, Genderthemen in der Makroökonomie sichtbar zu machen. Die makroökonomischen Rahmenbedingungen hätten sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert: Heute herrsche der finanzdominierte Kapitalismus, geprägt durch eine asymmetrische Verteilung zwischen Kapitalbesitzer/innen und Einkommensbezieher/innen und die Ausrichtung der Unternehmen an kurzfristigen Gewinnen. In der Spannung zwischen den beiden Wachstumsmodellen des schuldenfinanzierten Konsums und des neomerkantilistischen Exports plädierte Young dafür, makroökonomische Aspekte in den Blick zu nehmen und deren (re)konfigurierende Wirkung auf Arbeitsmärkte, Sozialpolitiken und Geschlechterverhältnisse zu untersuchen. Francesca Bettio stellte fest, dass es zwar viele Theorie-Praxis-Netzwerke gebe, die sich mit mikroökonomischen Themen wie dem Arbeitsmarkt oder sozialer Sicherheit beschäftigten, jedoch kaum welche, die makroökonomisch ausgerichtet und in Banken und Finanzmärkte involviert seien; diese Expertise sei für Empfehlungen an die Politik jedoch höchst relevant. Bettio plädierte daher für die stärkere Vernetzung solcher Akteur/innen.
Insgesamt war sich das Podium darin einig, dass dringend mehr feministisch-makroökonomische Analysen erarbeitet werden müssten, deren Erkenntnisse in Forschung und Lehre integriert sowie in die Öffentlichkeit vermittelt werden. Daraus entstand die Idee, einen öffentlich finanzierten Think Tank zu gründen; gemeinsam mit dem Publikum wurde darüber diskutiert, wie die Finanzierung erfolgen und wo die Ergebnisse publiziert werden sollten. Der Think Tank solle im Hinblick auf seine Informationsreichweite eine breite Gruppe ansprechen und Expertise herstellen, die langfristig in die Gesellschaft hineinwirke.