FACHTAGUNG 2016

Bericht zur efas-Fachtagung „Blickwechsel III – Geschlechteraspekte in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre und Forschung“

Von Dr. Lisa Yashodhara Haller, Eva Markowsky, Andrea Pürckhauer und Janina Urban

Vom 1. bis zum 2. Dezember 2016 fand an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin die 14. efas-Fachtagung statt. Als Einstieg hielt Prof. Dr. Sabine Hark einen Vortrag darüber, wie und warum sich verschiedene AkteurInnen, besonders die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD), derzeit gegen Gender-Studies positionieren. Während der weiteren Tagung wurde immer wieder auf diese dringende politische Debatte Bezug genommen.

Im ersten Teil der Tagung, der von Prof. Dr. Friederike Maier moderiert wurde, ging es um die Frage, wie Erkenntnisse der Geschlechterforschung in der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre aufgenommen werden. Wie präsent ist die feministische Ökonomik an den Hochschulen? Wie sind Fragen um Geschlechterverhältnisse und Ökonomie in der Lehre vertreten und wie können sie gelehrt werden?

Wie das Thema Geschlecht den Studierenden der Wirtschaftswissenschaften oft nahe gebracht wird, zeigte Alyssa Schneebaum (PhD) beispielhaft anhand des Lehrbuches Volkswirtschaftslehre von Samuelson und Nordhaus (2010), das als Einführungslehrbuch weltweit verwendet wird. Das Ergebnis: Die Themen „Frauen“ oder „Geschlecht“ kommen in dem Buch lediglich dreimal vor. Zunächst im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt, wobei nur gesagt wird, dass diese zurückgegangen sei. Hintergründe und deren Fortbestehen werden nicht weiter erläutert. Des Weiteren werden Frauen beim Thema Armut genannt und beim Thema weibliche Erwerbsbeteiligung, jeweils ohne die Gründe ihrer unterschiedlichen Positionierung näher zu beleuchten. Geschlechteraspekten und den sozialen Prozessen hinter ökonomischen Phänomenen wird in der Standardlehre kaum Beachtung geschenkt. Dabei gibt es eine wachsende Anzahl von Forschungsbeiträgen der feministischen Ökonomik. Diese haben jedoch noch keinen Einzug in die Lehrbücher gefunden, welche immer noch tonangebend in der volkswirtschaftlichen Lehre sind.

Doch wie kann dies geändert werden? Lehrende selbst können die Initiative ergreifen und für Geschlechterfragen sensibilisieren, wie Prof. Dr. Annett Wolf, Prof. Dr. Camille Logeay,
Dr. Annette Hoxtell
und Prof. Dr. Jeannette Trenkmann mit Beispielen aus der eigenen Lehre zeigten. Sie gingen dabei auch auf Fragen der Betriebswirtschaftslehre ein. Auch kam der Vorschlag auf, ein Lehrbuch für feministische Ökonomik zu verfassen. Ebenfalls kann Lehre von Lehrbüchern abweichen und der Unterricht stärker an die aktuelle Forschung aus Journals angelehnt werden.

Als mögliche Alternative wurde von Andrea Pürckhauer und Janina Urban auch das Projekt Exploring Economics präsentiert, das vom Netzwerk Plurale Ökonomik ins Leben gerufen wurde, ausgehend von Forderungen von Studierenden nach einer pluraleren Lehre. Exploring Economics ist eine Webseite, auf der Theorieschulen der Pluralen Ökonomik vorgestellt und miteinander verglichen werden. Darunter wird auch die Feministische Ökonomik präsentiert und zu anderen Theorieschulen in Bezug gesetzt. Die Seite kann für das Selbststudium und auch für die Lehre verwendet werden und integriert eine Reihe verschiedenster Medien. Bei der Tagung wurden die ersten Ergebnisse präsentiert und diskutiert, inwiefern die Feministische Ökonomik als einheitliche Theorieschule dargestellt werden kann.

Im zweiten Teil der Tagung wurden aktuelle Forschungsprojekte vorgestellt, die aus einem offenen Call zusammengestellt worden waren. In der ersten Session, moderiert von
Prof. Dr. Camille Logeay, lag der Fokus auf Frauen als Subjekte der Wirtschaft in unterschiedlichen Funktionen und Gremien.

Unternehmen sind heute verstärkt darauf angewiesen, ArbeitnehmerInnen mit begehrten Kompetenzen zu binden. Dadurch wird die Zufriedenheit mit dem eigenen Karriereerfolg immer bedeutender. Anstatt auf unternehmensinterne Angebote zu warten, entwickeln Beschäftigte ihre Fähigkeiten oft eigenverantwortlich weiter. Im ersten Vortrag der Session verdeutlichte
Dr. Nicole Böhmer
, dass die dabei vorgenommene Schwerpunktsetzung durch Geschlechterrollen beeinflusst wird. Mithilfe von leitfadengestützten narrativen Interviews mit berufserfahrenen BetriebswirtInnen und ÖkonomInnen mit internationalen Karrieren, explorierte sie, wie sich Geschlechterrollen und die damit einhergehenden Beziehungen innerhalb der Karriere verändern und damit die Karriere geschlechtsbezogen strukturieren. Die Kriterien, nach denen Beschäftigte ihren Karriereerfolg messen, verändern sich im Lebenslauf entlang der Geschlechterdifferenz. Obgleich weibliche Beschäftigte länderübergreifend in China, Indien und Deutschland zu Beginn ihrer Karriere der Vergütung eine größere Bedeutung beimessen als ihre männlichen Kollegen, stagniert im Karriereverlauf ihre Einkommensentwicklung. Diese Stagnation wird von Böhme wiederum darauf zurückgeführt, dass Frauen bei ihren Entscheidungen stärker relational agieren – also bezogen auf ihre Rolle und ihre Beziehungen.

Auch in dem daran anschließenden Vortrag von Prof. Dr. Gesine Stephan wurden Einflussfaktoren für letztlich individuelle Entscheidungen thematisiert. Obgleich die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen in tarifgebundenen Branchen geringer ausfällt als in Branchen ohne Tarifverträge, bleibt auch hier ein unerklärter Rest. Da Verhandlungsergebnisse signifikant von der Vertretung in den entsprechenden Verhandlungen abhängt, könnte eine stärkere Beteiligung von Frauen an Tarifkommissionen dazu beitragen, die geschlechtsspezifische Lohnlücke abzubauen. Stephan ging mithilfe eines faktoriellen Surveys möglichen Maßnahmen nach, die eine Kandidatur von mehr Frauen für Gehaltsverhandlungskommissionen wahrscheinlicher machen könnten. Zentrales Ergebnis der Untersuchung ist, dass geringere Erwartungen von Frauen, in Verhandlungen etwas bewirken zu können, korreliert sind mit einer niedrigeren Bereitschaft, zu kandidieren. Diese Erwartungen gehen auf persönliche und arbeitsplatzbezogene Erfahrungen zurück, die wiederum geschlechtlichen Positionszuweisungen an Frauen in Betrieben geschuldet sind. Die wichtigste Maßnahme, um  Kandidaturen von Frauen zu fördern, scheint zu sein, dass die Teilnahme am Gremium auf die Arbeitszeit angerechnet wird. Ebenfalls einen positiven Effekt hat die Unterstützung durch die Vorgesetzten sowie dass bereits bekannte Kolleginnen und Kollegen in dem Gremium aktiv sind.

Im abschließenden Vortrag befasste sich Dr. Anja Kirsch mit Frauen in Aufsichtsräten deutscher börsennotierter Unternehmen in einer historischen Betrachtung. Nach einer theoretischen Einbettung, stellte Kirsch ihren methodischen Zugang durch die Erstellung eines Datensatzes der Aufsichtsräte aller deutschen börsennotierten Unternehmen von 1978 bis 1998 anhand des Hoppenstedt Aktienführers dar. Durch diesen konnte sie aufzeigen, dass der Anteil von Aufsichtsrätinnen an allen Aufsichtsratsmitgliedern Ende der 1970er Jahre 2,5% betrug und seit Ende der 1980er Jahre kontinuierlich stieg. Noch Ende der 1990er Jahre waren Frauen vor allem in den Aufsichtsräten mitbestimmter Unternehmen vertreten. Im gesamten Zeitraum waren 80% aller Aufsichtsrätinnen Arbeitnehmervertreterinnen, wobei der Anteil der Vertreterinnen der Anteilseigner Ende der 90er zunahm. Abschließend gab Kirsch noch einen Ausblick auf die noch weiter zu erforschende Sicht der Aufsichtsrätinnen auf ihre eigene Rolle und die Erwartungen an sie von Seiten der Anteilseigner- und der Arbeitnehmerseite.

Als feierlicher Abschluss des Abends wurde der efas-Nachwuchsförderpreis an
Dr. Lisa Yashodhara Haller für ihre Dissertation zu dem Thema „Zur politischen Ökonomie familiärer Geschlechterarrangements – Eine Untersuchung der Bedeutung staatlicher Steuerungsinstrumente für die Arbeitsteilung junger Eltern “ verliehen, ebenso wie an
Eva Markowsky für ihre Masterarbeit „Identifying the effects of gendered language on economic behavior – An empirical analysis using European survey data. Beide werden ihre Arbeiten im nächsten efas-Newsletter darstellen.

Während des zweiten Tags der efas-Fachtagung standen die geschlechtsspezifische Einkommensungleichheit sowie aktuelle Themen der ökonomischen Geschlechterforschung im Mittelpunkt der Diskussion.

In Session II, die von Prof. Dr. Karin Reichel moderiert wurde, berichtete zunächst
Dr. Alexandra Scheele
von einem Projekt, in dessen Rahmen der Gender Pay Gap in sechs europäischen Staaten am Beispiel der Finanz- und der Gesundheitssektoren untersucht wird. Sie berichtete, dass Expertinnen-Interviews sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Länder –selbst bei vergleichbaren Lohnlücken – aufdeckten. So ist beispielsweise das Problembewusstsein für Entgeltungerechtigkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt, was in der Folge auch unterschiedliche Strategien zur Bekämpfung des Gender Pay Gap erfordert. Als gemeinsame Herausforderung aller Länder stellte sich heraus, das Thema Entgeltungleichheit überhaupt auf die politische Tagesordnung zu bringen, vor allem in frauendominierten Branchen, wo die Lohnlücke weniger sichtbar ist als in anderen Bereichen.

Im Anschluss sprach Sarah Lillemeier über ein Kooperationsprojekt der Universität Duisburg-Essen mit dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung.  Thema sind unterschiedliche Arbeits- und Leistungsbewertung als mögliche Ursache des Gender Pay Gaps. Sie berichtete, dass im Rahmen des Projekts ein „Comparable Worth“-Index  (CW) erstellt wurde, um im nächsten Schritt einen CW-Gap berechnen zu können. Dieser soll messen, ob und inwiefern Frauen- und Männerberufe gleich bewertet werden.

Den Abschluss der Session bildete der Vortrag von Dr. Christine Dauth, welcher sich mit dem Arbeitsmarkterfolg von Arbeitslosen beschäftigte. Um Geschlechtsunterschiede in der Dynamik von Arbeitslosigkeit zu untersuchen, zerlegte sie die Geschlechterlücke im Arbeitsmarkterfolg von arbeitslos gemeldeten Frauen und Männern in einen erklärbaren und einen unerklärbaren Teil, wie es häufig auch mit Geschlechterlücken in anderen Arbeitsmarkt-Outputs erfolgt. Sie fand heraus, dass ein Teil der Unterschiede in der Dauer der Arbeitslosigkeit und des Einkommens nach der Arbeitslosigkeit durch den letzten Erwerbsstatus, den Beruf und die Erwerbshistorie der beobachteten Personen zu erklären ist. Es verbleibt jedoch auch ein unerklärter Teil, den die Referentin auf Diskriminierung, z.B. im Verhalten der VermittlerInnen in den Arbeitsagenturen, zurückführt.

Nach der Mittagspause folgte die von Prof. Dr. Miriam Beblo moderierte dritte Session. Hier berichtete zunächst Dr. Christina Boll von einem Forschungsprojekt, in dessen Rahmen ein umfangreicher Vergleich des Gender Pay Gap in mehr als 20 europäischen Ländern erfolgte. Im Unterschied zum Vortrag von Alexandra Scheele basiert dieses Projekt auf quantitativer Datenanalyse. Dabei wurden sowohl die unbereinigte als auch die bereinigte Entgeltlücke nach Ursachen zerlegt. Als zentrales Ergebnis berichtete Boll, dass große Teile des Pay Gaps in vielen europäischen Ländern durch die sektorale Segregation nach Geschlecht sowie durch die höhere Teilzeitquote von Frauen erklärt werden können, während Geschlechterunterschiede in der beruflichen Qualifikation heute keine Rolle mehr zu spielen scheinen. In Anbetracht dieser Tatsachen plädierte sie dafür, bei Maßnahmen zur Bekämpfung der Entgeltungerechtigkeit stärker die Branchenebene in den Blick zu nehmen.

Im Anschluss berichtete Maria Ziolkowski von ihrer Master-Arbeit, die sich mit der Rolle von Rationalität und Altruismus in der neoklassischen Theorie auseinandersetzt. Ihre Kritik, dass der methodologische Individualismus Präferenzen nicht genügend berücksichtige, führte zu einer angeregten Diskussion mit dem Publikum.

Den Abschluss der Sessions bildete ein Vortrag von Prof. Dr. Ulrike Knobloch, in dem sie das Konzept eines von ihr herausgegebenen Sammelbandes zur „Ökonomie des Versorgens“ vorstellte. In diesem Band sollen Ansätze feministisch-kritischer Ökonomie gesammelt werden, um die Sichtbarkeit solcher Ansätze in der internationalen Diskussion zu erhöhen.