FACHTAGUNG 2020

Bericht von der 18. efas-Fachtagung „Geschlechtergerecht durch die Pandemie? Ökonomische Analysen aus feministischer Perspektive“

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Frauen und Geschlechterverhältnisse? Mit dieser Frage beschäftigte sich die efas-Fachtagung am 4.12.2020. Sie fand nicht wie gewohnt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) statt, sondern online via Zoom. Dadurch konnten über 120 Teilnehmer_innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz den Beiträgen lauschen und sich an den Diskussionen beteiligen.

Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring (Vize-Präsidentin der HTW Berlin) und Prof. Dr. Friederike Maier (Mitglied im wissenschaftlichen Ausschuss des Netzwerks und Gründungsmitglied von efas) begrüßten zu Beginn alle Anwesenden und hoben die Aktualität der Thematik mitten im zweiten Lockdown hervor.

Die wissenschaftlichen Beiträge wurden nacheinander als 10-minütige Flashtalks vorgestellt. Dabei konnten die Teilnehmer_innen ihre Fragen im Chat oder anschließend direkt stellen. Der erste Teil befasste sich mit der politischen Bearbeitung der Corona-Krise und wie konkret Frauen betroffen sind: Melike Döver (HTW Berlin) und Dr. Petra Dünhaupt (HWR Berlin) stellten in ihrem Vortrag „Am unteren Ende der globalen Wertschöpfungsketten – die Auswirkung von COVID-19 auf Frauen im Bekleidungssektor“ die mittel- und langfristigen Folgen für die Arbeiter_innen in Kleidungsfabriken vor. Diese sind zu 80% weiblich. Zu den Folgen gehören verschlechterte Arbeitsbedingungen, zunehmende Beschäftigungsunsicherheit und eine langfristig sinkende Qualität der Arbeitsplätze. Bisher erreichte Fortschritte im Empowerment der Arbeiterinnen und in der Verkleinerung der Gendergaps sind bedroht. Dabei wurde auch auf die Kampagne für saubere Kleidung eingegangen, ein Netzwerk, „das sich für die Rechte der Arbeiter*innen in den Lieferketten der internationalen Modeindustrie einsetzt“.

Der zweite Vortrag befasste sich mit dem Thema „Berufe und COVID-19-Pandemie: Wie hoch ist das berufliche Ansteckungspotenzial und sind Frauen davon mehr betroffen?“. Dr. Katharina Dengler (IAB) nutzte dafür Daten des Informationsportals BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit. Sie kam zu den Schlussfolgerungen, dass Frauen höheren berufsspezifischen Ansteckungsrisiken ausgesetzt sind (16% während es bei nur Männern ca. 4% sind) und dass diese außerdem während der Pandemie schlechtere Arbeitsmarktchancen haben können. Eine verstärkte Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist also möglich, aber weitere Analysen bleiben notwendig.

Des Weiteren stellten Dr. Regina Frey (genderbüro) und Ulrike Röhr (genanet/GenderCC) ihre Analyse „Das Konjunkturpaket zur Überwindung der Corona-Krise aus Geschlechter- und Klimaperspektive“ vor. Das Paket enthält 57 Maßnahmen, wie zum Beispiel die „Innovationsprämie“ beim Kauf eines E-Autos oder Hybrids, die die E-Mobilität fördern soll. Sie stellten die Frage, wer von dieser Prämie profitiert und ob E-Mobilität wirklich einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Als Alternative schlugen die Referentinnen eine Verkehrswende in Form von „Innovationsprämien“ für E-Bikes und Mobilitätsprämien für alle vor. Sie zeigten auch, dass die Subventionen und Förderprogramme von der Bundesregierung nicht auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen untersucht wurden, beispielsweise in Bezug auf Veränderungen bei bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit oder auf geschlechtsspezifische Beschäftigungswirkungen. Als Fazit hoben sie hervor, dass eine Genderanalyse und eine Klimafolgenabschätzung sowohl auf Ebene des Gesamtpaketes als auf Ebene der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen dringend notwendig sind.

Zum Schluss der ersten Session präsentierte Dr. Katharina Wrohlich (DIW Berlin) „Gleichstellungspolitische Antworten auf die Arbeitsmarktwirkungen der COVID-19-Pandemie“. Sie fasste damit die Policy Papers zusammen, welche das DIW Berlin in Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bisher erstellt hat. Diese untersuchten die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitsnachfrage, -möglichkeiten und -bedingungen. Heraus kam, dass Frauen stärker betroffen sind als Männer: So ist zum Bespiel bei selbstständigen Frauen die Wahrscheinlichkeit eines Einkommensverlusts zu einem Drittel höher als bei selbstständigen Männern. Desweiteren stellte sie Zahlen aus dem DIW Wochenbericht Nr. 19/2020 vor, die belegen, dass in heterosexuellen Partnerschaften Mütter im Frühjahr 2020 öfter ihre Arbeitsstunden zugunsten von Betreuungsaufgaben reduzierten und ihre Arbeitszeiten aufgrund der Kinderbetreuungssituation änderten. Um mehr Gleichstellung in der Krise zu erreichen, schlug sie eine verbesserte Entschädigung im Fall von Schul- und Kitaschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz und die Aufwertung von Berufen in der Sozialen Arbeit, Gesundheit, Pflege und Erziehung, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist, vor. Weitere Maßnahmen wären eine Erhöhung der Repräsentanz von Frauen in politikberatenden Gremien und ein Gender Budgeting des Bundeshaushalts, um eine geschlechtergerechte Verteilung der staatlichen Ressourcen zu sichern.

Die zweite Session thematisierte die weibliche (Care-)Arbeit zwischen neuer Sichtbarkeit und andauernder Unterbewertung. Hierzu stellte Franziska Dorn (Universität Göttingen) eine Forschungsarbeit mit dem Titel „Billiges Lob: Zusätzliche Bezahlung für systemrelevante Arbeitnehmer*innen in der COVID-19-Pandemie“ vor. Zuerst referierte sie über die aktuellen Corona-Boni und machte sichtbar, dass immer noch ein sogenannter Care Penalty in der Bezahlung von Pflegeberufen existiert. Im Anschluss lud sie zu einer Ideenfindung für die Bewertung und Aufwertung von Pflegearbeit ein.

Darauffolgend präsentierten Prof. Dr. Margareta Kreimer (Uni Graz) und Dr. Barbara Hönig (Uni Graz) „Sozioökonomische Effekte der COVID-19-Pandemie im Vergleich zweier Berufsbereiche: Care-Arbeit und Wissenschaft“. Sie betrachteten unter anderem die öffentliche Wahrnehmung beider Berufsbereiche und verglichen, inwiefern eine monetäre Aufwertung in den beiden Bereichen stattfand. Sie stellten fest, dass besonders die Care-Arbeit im ersten Lockdown medial präsent war, dies flachte aber im zweiten Lockdown etwas ab und hatte kaum politische Konsequenzen. Auch die leichte Aufwertung durch Boni blieb hier einmalig. Die Präsenz der Wissenschaft war über die Corona-Forschung hinaus nur wenig erhöht, auch kam es zu keiner monetären Aufwertung. Dafür war die Repräsentanz von Frauen als Expertinnen relativ hoch.

Im Anschluss präsentierte Dr. Irem Güney-Frahm (Harriet Taylor Mill-Institut) in ihrem Vortrag „Global Care Chains und Arbeitgeberinnen im Lockdown“ erste Ergebnisse aus Interviews mit privaten Arbeitgeberinnen von Haushaltsangestellten in der Türkei. Sie stellte ihre Forschung in den Zusammenhang des weltweiten Anstiegs der weiblichen Erwerbsbeteiligung und der Care-Krise, die gemeinsam dazu führen, dass bessergestellte Frauen Care-Lücken durch Hausangestellte lösen, die oft aus anderen sozialen Schichten und Ländern stammen. Wenn vor der Pandemie noch das neoklassische ökonomische Modell das Verhalten der Arbeitergeberinnen bestimmte, so ging mit der Pandemie eine Veränderung der Machtbeziehungen einher. Die Bedeutung, die die Hausangestellten für die Haushalte haben, wurde sichtbarer. Dies führte dazu, dass diese nun die Möglichkeit haben, stärker für ihre Interessen einzustehen. Ob sich dieses Potential in tatsächlicher Organisierung realisiert, wird sich zeigen.

Auf die Mittagspause folgte der dritte Teil der Sessions, welcher sich zu Beginn mit den Vor- und Nachteilen des Home-Offices beschäftigte. Judith Derndorfer (WU Wien) begann mit dem Vortrag „Mehrfachbelastung unter COVID-19 – Verteilung von unbezahlter Arbeit, Home-Office und psychischer Belastung in Österreich“ und stellt dabei die Frage nach der Verteilung unbezahlter Arbeit im Home-Office während des Lockdowns. Sie verglich Hausarbeit und Kinderbetreuung vor der Pandemie und währenddessen. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass zwar die Arbeitsbelastung bei Männern gestiegen ist, aber im Vergleich Frauen sowohl im Haushalt als auch in der Kinderbetreuung weiterhin mehr Pflichten übernehmen.

Der nächste Vortrag mit dem Titel „Eine weibliche Perspektive auf Home-Office und psychologische Sicherheit“ von Prof. Dr. Annette Hoxtell (HWTK), Prof. Dr. Ivonne Preußer (TH Köln) und Janine Bunzeck (TH Köln) wertet eine Umfrage mit 411 Teilnehmerinnen aus. Sie wurden nach der Arbeit im Home-Office während des ersten Lockdowns befragt. 64% der Frauen kamen mit dem Home-Office gut zurecht, wobei die Lebensumstände, wie Kinder oder die Größe des Wohnraums, eine große Rolle spielen. Vorteile wie Zeitersparnis, eigene Zeiteinteilung, mehr Ruhe und bessere Vereinbarkeit aber auch Nachteile wie fehlender Austausch mit Kolleg_innen, fehlende Bewegungsmöglichkeiten, fehlende Trennung von Arbeit und Privatem oder technische Unzulänglichkeiten wurden aufgezählt. Männer sehen im Vergleich weniger Vorteile und vermissen häufiger das direkte Feedback von Vorgesetzten.

Dr. Cara Ebert (RWI Essen) und Prof. Dr. Janina Steinert (TU München) beendeten die Session mit ihrem Vortrag „Wie wirkt sich COVID-19 auf Gewalt gegen Frauen und Kinder in Deutschland aus?“. Sie verglichen Zahlen zur physischen und sexualisierten Gewalt an Frauen von 2019 mit denen des ersten Lockdowns im April. Die Zahlen stammen dabei aus Umfragen mit Betroffenen. Sie werden ergänzt durch Interviews mit Expert_innen, die im November 2020 durchgeführt worden sind. Ebenso wurden Hilfegesuche von Hilfestellen wie Hotlines, Frauenhäusern und Beratungsstellen ausgewertet. Die Referentinnen schließen aus den Daten, dass die Quarantäne im eigenen Zuhause, finanzielle Not beispielsweise durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, psychische Gesundheitsprobleme und eine erhöhte Belastung durch Kinderbetreuung die größten Risikofaktoren für Gewalt gegen Frauen darstellten. In der anschließenden Diskussion wurden unter anderem die verstärkte Bewerbung von Hilfsangeboten, ein ausgebautes Angebot von Online-Beratungen und leichter zugängliche und kostenlose psychologische Beratung z.B. durch Apps als Lösungsansätze genannt.

In der vierten und letzten Session fand die Verleihung des efas-Nachwuchsförderpreises 2020 statt. Diese konnte leider ebenfalls nicht in Präsenz durchgeführt werden, aber ein Video, das die Preisträgerin Julia Bringmann vorstellte, rundete die Tagung ab. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Camille Logeay (HTW Berlin). Im Anschluss stellte Julia Bringmann ihre Masterarbeit „,Daddy Months‘ – An Engine of Change Towards More Gender Equality in Parenting Couples?“ vor. Diese beschäftigt sich mit der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung bei gegengeschlechtlichen (Eltern-)Paaren, die auch im letzten Jahrzehnt ungleich blieb. In ihrer Masterarbeit behandelt sie die Frage, welchen mittelfristigen Effekt die Reform des Elterngelds auf die paarinterne Arbeitsteilung hat. Sie arbeitete dafür mit dem Pairfam Panel-Datensatz und stellte fest, dass die zwei sogenannten „Vätermonate“ zu keiner substantiellen mittelfristigen Veränderung der Arbeitsteilung geführt haben. Außerdem findet sie Hinweise darauf, dass ein signifikanter, gering positiver Zusammenhang zwischen Elterngeldbezug von jüngeren Vätern und der Aufteilung der Kinderbetreuung existiert. Abschließend bemerkte sie, dass immer noch Forschungsbedarf in dieser Frage besteht. Dafür sind Subgruppenanalysen und mehrdimensionale sowie feingliedrige Indikatoren notwendig. Sie betonte auch die Signalwirkung der Reform, die zwar die Möglichkeit einer egalitäreren Verteilung der Elternzeit ermöglicht, mit den zwei sogenannten Vätermonaten aber eben keine egalitäre Norm einführte.

Zum Abschluss der Tagung wurde das 20-jährige erfolgreiche Bestehen des Netzwerks efas gefeiert. Dazu gab es einen Festvortrag von Prof. Dr. Karin Gottschall (Uni Bremen) unter dem Titel „Ökonomie und Geschlecht: Von Erkenntnisfortschritten und Handlungsdefiziten“. Sie lobte dabei das Netzwerk efas, das es geschafft hat, ein lebendiger Ort des Austauschs für Wirtschaftswissenschaftlerinnen (und Forscherinnen anderer Disziplinen) verschiedener Generationen zu werden. Für die Zukunft betonte sie, dass die Herausforderungen der Unterrepräsentanz von Frauen in der Disziplin sowie der Arbeitswelt und die Diskriminierung als implizites Phänomen weiterhin bestehen, sich aber in ihrer konkreten Ausprägung geändert haben. Sie verwies auch darauf, dass heute sowohl der gesamtgesellschaftliche Bedeutungsgewinn von ökonomischem Wissen sowie von Interdisziplinarität eine Chance darstellen. Um diese zu realisieren, gibt es jedoch einen lokalen und globalen Handlungsbedarf. So kann die Präsenz von Frauen in der Arbeitswelt durch Quoten erhöht werden, in der Politik ginge es darum, den volkswirtschaftlichen Sachverstand nicht nur in der Wirtschaftspolitik einzubringen. Ebenso sei es notwendig, ökonomische Alltagskompetenz für alle zugänglicher zu machen und zu fördern. Sie wünschte dem efas-Netzwerk alles Gute für die Zukunft.

Auch die Teilnehmer_innen bemerkten: Gerade das Online-Format hat dazu beigetragen, Forscherinnen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum zusammenzubringen und ermöglichte einen regen Austausch. Wenn auch alle hoffen, dass die nächste efas-Tagung, die vorrausichtlich am Freitag, den 3. Dezember 2021, stattfindet, wieder in Präsenz möglich sein wird, so gibt es doch auch einige Elemente, die aus dem Online-Format für die Zukunft übernommen werden können.

Liia Thalberg-Žukova (HTW Berlin)