FACHTAGUNG 2014

12. efas-Fachtagung am 4./5.12.2014

„Erkenntnisse ohne Wirkung? Ökonomische Geschlechterforschung und Politikberatung.“

Auf der diesjährigen Fachtagung am 4./5.12.2014 wurde die Frage diskutiert, wie Erkenntnisse und Befunde der Geschlechterforschung in politisches Handeln und politische Entscheidungen Eingang finden. Dafür waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen, die an der Schnittstelle zu Politik arbeiten. Zudem nahmen einige Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik an der abschließenden Podiumsdiskussion teil.

Die Tagung eröffnete Notburga Ott, die in ihrem Vortrag „Vom Nutzen der Familienpolitik – Ergebnisse und politische Reaktionen“ das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik beleuchtete. Im Rahmen der Grundlagenforschung, so Ott, werde intensiv der Zusammenhang zwischen der privaten Institution Familie und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet. Innerhalb der Angewandten Forschung werden politische Maßnahmen und Entscheidungen sowie deren Wirkungen untersucht. Dabei verwendeten verschiedene Forschende jedoch unterschiedliche Wirkungsmodelle, was das Zusammenführen von Ergebnissen nicht gerade erleichtere. Zudem gebe es wenige Finanzierungsmöglichkeiten für unabhängige Evaluationen. Dennoch fließe Wissen in die Politik ein, z.B. durch den wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen. Ott sieht seit dem 7. Familienbericht einen positiven Wechsel hin zu einer nachhaltigen Familienpolitik, die auch wissenschaftliche Erkenntnisse aufgreife.

Daran anschließend analysierte Elke Holst vom DIW die „Arbeitszeitwünsche und -realitäten in Ost- und Westdeutschland – Veränderungen seit der Wende“. Seit der Wiedervereinigung näherten sich Ost und West bezüglich der Erwerbsbeteiligung von Frauen an und das Zuverdienstmodell gewinne in Ost und West an Bedeutung, und zwar in Ost auf Kosten des Egalitätsmodells, in West auf Kosten des Alleinverdienermodells. Generell orientierten sich die Wünsche an der vereinbarten Arbeitszeit, jedoch nicht an der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit, insbesondere bei den Männern. Diese liege wesentlich höher, was von den meisten Beschäftigten negativ bewertet werde. Vergleiche man die Teilzeitbeschäftigung der Frauen in Ost und West, so arbeiteten die Frauen in Ost mehr als die Frauen in West. Generell wünschten sich die Frauen in West weniger Arbeitsstunden als die Frauen in Ost. Karin Reichel von der HWR blickte in ihrem Vortrag „Die Diskussion um die Frauenquote in Deutschland“ in die gleichstellungspolitische Vergangenheit seit den 1990er Jahren zurück, um den langen Weg zur geplanten Quote in Aufsichtsräten zu skizzieren. Nach verschiedenen Initiativen wurden ab 2007 konkrete Ziele formuliert, u.a. forderte im Jahr 2009 die SPD 40 % Frauen in Aufsichtsräten, die Grünen forderten 30 % bis 2015 und 40 % bis 2018, während Kanzlerin Merkel wieder auf Selbstverpflichtung der Privatwirtschaft setzte. Dies setzt die Telekom auf Initiative des Personalvorstands Sattelberger auch um, sie will bis 2015 30 % Frauen in oberen und mittleren Führungsebenen aufweisen. 2011 schlug Ministerin Schröder die sog. Flexi-Quote vor, die sich Unternehmen selbst auferlegen sollen. 2014 kam dann der Gesetzentwurf, dem zufolge bis 2020 30 % Frauen in Aufsichtsräten in voll mitbestimmten, börsennotierten Unternehmen sitzen sollen. Das Gesetz betrifft ca. 101 Unternehmen und würde ca. 233 zusätzliche Frauen in Aufsichtsräte bringen. Dies bedeute, so Karin Reichel, dass im Jahr 2020 der Frauenanteil in Aufsichtsräten geschätzt 25,8 % betrage.

Im Forschungsforum wurden sechs Projekte vorgestellt. Jeannette Trenkmann konnte von ihren Fortschritten im Projekt „Akteure und strategisches Handeln bei der Institutionalisierung organisationaler Gleichstellungspolitik“ berichten, in dem sie die Makroebene der Einführung von Gleichstellungsmaßnahmen in einem Finanzdienstleistungsunternehmen mit der Mikroebene der individuellen Handlungsstrategien vergleicht, die teilweise der offiziellen Politik zuwider laufen. Renate Ortlieb und Barbara Sieben analysieren seit Jahren zahlreiche Betriebsfeiern wie Grillfeste, Kart-Rennen und Geschenke unter dem Aspekt der symbolischen Bedeutung für Geschlechterverhältnisse. „Kart-Race, Summer Barbecue and Secret Santa: Staging the Gendered Organization“ lautet deshalb der bildhafte Titel ihres Projekts, in dem sie zeigen, wie in Betriebsfeiern traditionelle Geschlechterverhältnisse reproduziert werden. Alexandra Fedorets untersucht in „Closing the Gender Pay Gap and Individual Task Profiles: Women’s Advantages from Technological Progress“, inwieweit Einkommensunterschiede durch technologische Fortschritte kleiner werden. Frauen sind zunehmend in nichtroutinierten kognitiven Tätigkeiten beschäftigt, die zu höherer Entlohnung beitragen.

Auch Dörthe Gatermann und Ann-Christin Hausmann beschäftigen sich mit Entlohnung, jedoch unter dem Gesichtspunkt der Länge der Erwerbsunterbrechungen. Diese seien umso länger, je geringer die Opportunitätskosten der Unterbrechung sind, und dies sei bei niedrig entlohnten Tätigkeiten eher der Fall. Annette Hoxtell stellt ihre begonnene Untersuchung zum Wahlverhalten von Schülerinnen für einen Ausbildungsbetrieb vor und nannte als erstes Ergebnis, dass neben dem angestrebten Beruf auch das persönliche Kennenlernen des Betriebs ausschlaggebend sei. Gesche Brandt griff wieder das Thema Erwerbsunterbrechungen auf und fand in einer Absolventenbefragung heraus, dass sich diese Unterbrechungen auch bei Akademikerinnen nachteilig auswirken, dass aber ein Wandel bei der geschlechtstypischen Arbeitsteilung zu erkennen sei.

Der Nachwuchsförderpreis wurde in diesem Jahr erstmalig an zwei herausragende Dissertationen im Bereich der ökonomischen Geschlechterforschung verliehen. Die Preisträgerinnen sind Dr. Anna Mucha (Universität Hamburg) und Dr. Eva Schlenker (Universität Hohenheim). Weitere Informationen zu den prämierten Arbeiten finden sich hier.

Der zweite Konferenztag begann mit dem Vortrag: „Herausforderungen bei der Um- und Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns aus der Genderperspektive“ von Claudia Weinkopf (IAQ), in dem sie die Entwicklung der Diskussion um den Mindestlohn und zentrale Befunde skizzierte. Aus Genderperspektive sei der Mindestlohn positiv zu sehen, da Frauen überproportional in Niedriglohnsektoren beschäftigt seien. 2013 setzte die SPD in den Koalitionsverhandlungen den Mindestlohn von 8,50 € ab 2015 durch. Ausnahmen gelten für Azubis, Langzeitarbeitslose, einige Praktika, unter 18jährige sowie Zeitungszustellende. Trotz dieser Ausnahmen beträfe der Mindestlohn immerhin 13 bis 20 % der Beschäftigten, besonders Frauen, den Osten und Minijobs. Probleme bereiteten klare Definitionen von Arbeitszeit, die Anrechenbarkeit von Zuschlägen und wirksame Kontrollen. Jochen Geppert (GPS) und Christina Schildmann (FES) schlossen an mit einem Vortrag zur Gleichstellung. Ihr Titel „Gleichstellung jetzt – Gleichstellungspolitik stärken“ soll auf die gleichnamige Initiative aufmerksam machen, die den Wissenstransfer von der Genderforschung zur Gleichstellungspolitik fördert. Gleichstellung sei zwar verfassungsrechtlich verankert und als Querschnittsaufgabe deklariert, leide jedoch an geringen finanziellen und institutionellen Ressourcen. In der Abschlussdiskussion, die von Gertraude Krell moderiert wurde, lieferte zunächst Dagmar Simon vom WZB einen Input zum Wissenstransfer in die Politik. Sie plädiert für eine stärkere Kopplung von Wissenschaft und Politik. Gute wissenschaftliche Politikberatung zeichne sich aus durch Distanz (Unabhängigkeit), Pluralität (verschiedene Disziplinen und Personen), Transparenz, Öffentlichkeit sowie angemessene Qualitätssicherung. Helga Henschel von der Senatsverwaltung AIF wünscht sich, dass die Wissenschaft mehr Wissen über die Politik und das Funktionieren von Ministerien habe. Die Schnittmenge zwischen Wissen und Politik sei geringer als zwischen Macht und Politik. Renate Ortlieb beschäftigte die Frage, wie Wissen zu Unternehmen kommt und fordert eine größere Einmischung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Politik, Medien und Öffentlichkeit. Wissensverbreitungsstrategien wie Treffen mit der Praxis oder zur kommunalen Politik sollten systematisch entwickelt werden. Uta Meier-Gräwe sieht die Arbeit des Sachverständigenrats für den 7. Familienbericht als positives Beispiel für unabhängige Politikberatung, bei der auch einige Erkenntnisse umgesetzt wurden, z.B. die Kosten-Nutzen-Analyse von frühzeitigen Hilfen nach der Geburt. Ökonomische Argumente würden eher gehört als andere. Sie bemängelt aber auch, dass viele Entscheidungsträger wenig Genderkompetenz hätten. Thomas Fischer vom Familienministerium betont, dass begrenzte Mittel nur bestimmte Forschungsprojekte erlauben würden, nämlich diejenigen, die aktuelle Probleme behandelten. Während das Familienministerium für Genderfragen sensibilisiert sei, gäbe es andere Institutionen, die dafür wenig offen seien, weshalb beispielsweise das Ehegattensplitting nicht abgeschafft würde, obwohl es aus einer Genderperspektive zu kritisieren sei. In der abschließenden Diskussion wird gefordert, die spezielle Funktionslogik der Politik zu beachten und in deren Sprache zu sprechen, um auch akzeptiert zu werden, in der Ausbildung überall Gender zu integrieren und Agenda-Setting durch Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Es wird bedauert, dass die Wissenschaft sich zu sehr aus der Politik heraushält und Politikberatung im Wissenschaftssystem nicht honoriert wird. Ein positives Beispiel des Wissenstransfers ist die Professionalisierung der haushaltsnahen Dienstleistungen. Große und mächtige Bereiche wie die Steuerpolitik oder die Rentenpolitik seien jedoch schwer zu beeinflussen.

Daniela Rastetter