„Wirtschaftspolitik nach Covid-19 – Die Geschlechterperspektive“, Bericht zur 19. efas Fachtagung am 3.12.2021 an der HTW Berlin, online
Die Tagung war von der Frage bestimmt, welche Auswirkungen es hätte, wenn Gender ein fester Bestandteil von wirtschaftspolitischen Strategien wäre. Die Vorträge widmeten sich u.a. folgenden Fragen: Wie geht die Wirtschaftspolitik nach Covid-19 weiter, welche Ansatzpunkte für eine geschlechtergerechte Transformation gibt es, wie sollte eine zukünftige Familienpolitik gestaltet werden und welche nachhaltigen geschlechtsspezifischen Auswirkungen hat die Covid-19 Pandemie auf den Arbeitsmarkt? Fast 50 Teilnehmer_innen waren online dabei.
Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring (Vize-Präsidentin der HTW Berlin) und Prof. Dr. Camille Logeay (VWL-Professorin an der HTW und Mitglied im wissenschaftlichen Ausschuss von efas) eröffneten die Tagung. Prof. Dr. Molthagen-Schnöring hob die aktuelle politische Relevanz, eine wirtschaftspolitische Geschlechterperspektive einzunehmen, hervor. Prof. Dr. Camille Logeay gab einen Überblick über die inhaltliche Arbeit von efas und wies auf den voreiligen Optimismus des wissenschaftlichen Ausschusses von efas hin, bereits jetzt eine Geschlechterperspektive nach Covid-19 einnehmen zu können.
Prof. Dr. Heike Joebges (HTW-Berlin) lieferte mit ihren makroökonomischen Ausführungen zu den wirtschaftspolitischen Rahmenbedinungen unter Bezug auf die Koalitionsvereinbarung einen höchst aktuellen inhaltlichen Auftakt der efas-Tagung. Die Belastungen der Pandemie träfen jene Haushalte besonders stark, die bereits vor der Pandemie sozial- und familienpolitisch schlechter gestellt waren. Außerdem lasse die pandemiebedingte, finanzielle Krise die Erwerbstätigkeit zurückgehen. Einkommensrückgänge seien besonders bei geringfügig Beschäftigten, Alleinerziehenden, prekär Beschäftigten und Selbstständigen zu erwarten. Dies, sowie der starke Rückgang von Erwerbstätigkeit bei Selbstständigen und im nicht unternehmensnahen Dienstleistungssektor könnte sich besonders negativ auf die ökonomische Situation von Frauen auswirken, da in diesen Bereichen ein hoher Frauenanteil besteht und das Kurzarbeitergeld (bei geringerem Gehalt) weniger entlastend wirke. Dabei machte sie eindrücklich klar, dass diese Entwicklung nicht ökonomisch, sondern politisch bedingt ist. Am Beispiel des Koalitionspapiers führte sie hierzu aus, dass es einen klaren Fokus auf Klimapolitik und Digitalisierung gibt, hingegen verbindliche Zusagen zur Unterstützung der Kommunen für eine soziale Familienpolitik, die über eine Fokussierung auf Erwerbsbeteiligung hinausgeht, fehlten. Den negativen Auswirkungen der Covid-19 Pandemie für Frauen und Familien werde so nicht gegengesteuert.
Die an den Vortrag anschließende Diskussion war geprägt von Fragen und Überlegungen, ob und wie das Thema Geschlechtergerechtigkeit im Koalitionsvertrag vertreten ist. Diskutiert wurde unter anderem darüber, inwieweit von der neuen Regierung zu erwarten ist, dass Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsthema in der Digitalisierungs- und Klimapolitik enthalten sein wird.
An die Diskussion schloss sich der Vortrag von Dr. Elisabeth Klatzer (Gender Budgeting Expertin) an. Unter der Überschrift „Wirtschaften für das gute Leben für alle – Perspektiven für eine geschlechtergerechte Transformation” gab sie einen breiten Überblick über die gesellschaftlich notwendigen Veränderungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und plädierte dafür, (Un-)Gerechtigkeiten in einem ganz grundlegenden Sinn zu betrachten. Es seien die systemischen Grundlagen der Wirtschaft, die problematisch sind: der Monopolkapitalismus, die Aneignung öffentlicher Güter durch Privatunternehmen und die immer größer werdende globale Ungleichheit. Die ineinander verschränkten Krisen, wie die Care-Krise, die Klimakrise, die Beschäftigungskrise und die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern verlangten eine radikale Transformation, die Care ins Zentrum des Wirtschaftens setzt. Mit mehr Investitionen in Care- und Gemeinwohlbereiche in Form von Zeit und Geld würde ein gutes Leben für alle ermöglicht. Mögliche politisch direkt angehbare Schritte in diese Richtung wären eine Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit, bessere öffentliche und gemeinnützige Leistungen, ein Corona-Lastenausgleich sowie eine gerechtere Besteuerung.
An die umfassenden Ideen für eine geschlechtergerechte Transformation schloss sich der Vortrag von Prof. Dr. Miriam Beblo (Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses von efas und Professorin an der Universität Hamburg) zu „Zukunftsorientierte Familienpolitik“ an. Am Beispiel ihrer Mitwirkung in zwei wissenschaftspolitischen Beratungsgremien: dem wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Sachverständigenkommission der Bundesregierung für den Neunten Familienbericht zeigte sie sehr praktisch, welche Schritte in Richtung einer geschlechtergerechten Transformation der Familienpolitik erreicht werden konnten und was noch zu leisten ist. Als wichtige Quellen zum Thema präsentierte sie das Themenheft FamilienLeben – 50 Jahre wissenschaftliche Beratung für eine nachhaltige Familienpolitik sowie den neunten Familienbericht “Eltern sein in Deutschland”.
„Lehren aus der Pandemie: Geschlechterunterschiede in systemrelevanten Berufen und Potenzial beim Arbeiten im Homeoffice“ war Titel des Vortrags von Dr. Michaela Fuchs vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, in dem sie die besonderen Folgen der Covid-19 Pandemie für Frauen auf dem Arbeitsmarkt vorstellte. Da die systemrelevanten Gesundheits- und Sozialberufe überproportional von Frauen ausgeübt werden und hier vielfach Präsenz erforderlich ist, waren und sind Frauen in der Pandemie einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Der Anteil von Frauen in Kurzarbeit sei zudem seit Beginn der Krise gestiegen und liegt nun bei 50% der Kurzarbeitenden. Das Potential beim Arbeiten im Home-Office ist sehr berufsabhängig. Grundsätzlich eröffne das Arbeiten im Home-Office die Chance für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, mit Blick auf die familiäre Arbeitsteilung und die gerechte Verteilung der Sorgearbeit berge das Arbeiten im Home-Office aber auch die Gefahr einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen. Dennoch spreche Einiges dafür, dass die Möglichkeit zum Home-Office die Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbessert.
Das Forschungsforum bietet die Chance, aus laufenden Forschungsvorhaben zu berichten und eignet sich daher insbesondere auch für Nachwuchswissenschaftler_innen, ihre Forschungsarbeiten mit einem Bezug zu Geschlechterstudien vorzustellen. Erstmalig wurden in diesem Jahr auch mehrere Bewerberinnen für den efas-Preis als „Nominierte“ gebeten, ihre besonders guten Arbeiten im Rahmen des Forschungsforums vorzustellen.
Elena Herold (Ludwig-Maximilian-Universität München), für den efas-Preis nominiert, präsentierte ihre Masterarbeit zu „Geschlechternormen und das relative Einkommen von deutschen Ehepaaren“. Sie vergleicht darin die relative Einkommensverteilung von ostdeutschen und westdeutschen Ehepaaren, analysiert den Einfluss der DDR auf Geschlechternormen und damit auf das relative Einkommen von ostdeutschen Paaren. Ein Ergebnis ist, dass sich jüngere ostdeutsche Paare der westlichen Einkommensaufteilung des „male breadwinners“ angleichen, was für die Abnahme des politischen Einflusses der DDR sprechen könnte. Elena Herold setzt ihre Forschung am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München fort.
Mit dem Vortrag „Wie hängt der Kapitalismus von seinem Außen ab? Feministische Perspektiven auf Einverleibung und Externalisierung“ stellte mit Anna Saave (Friedrich-Schiller-Universität Jena) eine weitere efas-Nachwuchsförderpreis-Nominierte ihre Dissertation vor. Mit der Innen-Außen-Beziehung beschreibt sie den Kapitalismus als eine Produktionsweise, die sowohl auf „Einverleibung“ von sozialer Reproduktionsarbeit für die Akkumulation von Kapital wie auch auf „Externalisierung“ beispielsweise in Form der Kostenauslagerung basiert. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit den Leerstellen der Nachhaltigkeits- und Wirtschaftswissenschaften und kritisiert kapitalistische Dynamiken aus einer feministischen Perspektive. Die Dissertation erscheint demnächst im Transcript Verlag und ist hier verfügbar.
Christine Weber (University of Amsterdam) wurde für ihre Masterarbeit „Auswirkungen des Klimawandels auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Äthiopien und Bangladesch“ ebenfalls für den efas-Nachwuchsförderpreis nominiert. Sie beschäftigt sich mit der Frage, welchen direkten und indirekten Einfluss Dürren, also Armut, in landwirtschaftlichen Gebieten auf Kinderehen haben. Ihre Ergebnisse zeigen, dass obwohl es in Äthiopien die Tradition eines Brautpreises und in Bangladesch die Tradition der Mitgift gibt, Dürren in beiden Ländern zum Anstieg von Kinderehen führen.
Kinderehen waren auch Thema im Beitrag von Melina Liethmann (Lund University) „The will to economically empower? – Eine kritische Betrachtung der Darstellung von Kinderehen in bangladeschischen Zeitungen”, wobei hier die Methode der kritischen Diskursanalyse eingesetzt und mit einem postkolonialen Ansatz verbunden wurde. Vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse und der auf ihren Vortrag folgenden Diskussion plädierte Melina Liethmann für einen differenzierten Diskurs: weder sollten die Lebensrealitäten von Frauen und Mädchen in Bangladesch auf die ökonomische Dimension reduziert oder sie bloß als „disempowered victims“ darstellt werden, gleichzeitig dürfe die sexuelle Gewalt durch Kinderehen nicht verharmlost werden.
Dorothée Averkamp (Bergische Universität Wuppertal) präsentierte ihre Arbeit „Dekomposition der Lohnlücke – Eine Perspektive der Familienökonomik“, in der sie sich mit dem unerklärten Teil der Lohnlücke auseinandersetzt. Dieser lasse sich zum Teil durch die Priorisierung der Karriere des Partners bei Doppelverdienerpaaren erklären. Methodisch arbeitete sie mit dem Oaxaca-Blinder Verfahren, das von ihr erweitert wurde, um es für eine weitergehende Forschung zur Dekomposition der Lohnlücke nutzen zu können.
Julia Schmid (Universität Hohenheim) untersuchte die „Folgen der deutschen Witwenrentenreform im Jahr 2002“. Forschungsleitend war für sie vor allem die Frage, ob diese Reform, die mit Kürzungen für Witwen einhergehen, eine Stärkung der Frauenerwerbstätigkeit bewirken konnte oder lediglich eine geschlechtsspezifische Rentenlücke verstärkt hat. Für ihre Arbeit hat sie Daten des Deutschen Mikrozensus verwendet.
In ihrem Vortrag „Coding gender? Zur Triade der digitalen Vergeschlechtlichung“ stellte Katja Dill (Universität Vechta & Harriet-Taylor-Mill- Institut) das von ihr entwickelte, heuristische Modell „Trilemma der vergeschlechtlichten Digitalisierung“ vor, mit dem sie den Androzentrismus der Digitalisierung, die Bedeutung von Gender und die Situierung von Technikprozessen erfassbar machen möchte. Sie überträgt dabei das Konzept des doing gender auf Digitalisierung(sprozesse), um anzuzeigen, dass Technologien entwickelt werden könnten, denen weniger Diskriminierung eingeschrieben ist.
Christian Brückner (Evangelische Hochschule Darmstadt) gab mit seinem Vortrag „Genderneutrale Sozialpolitik in einer diskriminierenden Wirtschaft? – Geschlechtsspezifische Auswirkungen des Mindestlohns“ einen Einblick in seine laufende Doktorarbeit. Mit einer komparativen Theorieanalyse will er zu mehr Heterogenität im Bereich der Mindestlohn-Forschung beitragen. Seine Arbeit stellt die Hypothese auf, dass Diskriminierungstheorien die (wirtschaftliche) Realität besser darstellen können als Prognosen, die Diskriminierung nicht als relevanten Faktor berücksichtigen. Die sich daran anschließende angeregte Diskussion konnte leider nicht abschließend geführt werden.
Die efas-Tagung fand ihren feierlichen Abschluss mit der Preisverleihung des efas-Nachwuchsförderpreises, der dieses Jahr an Dorothee Hintz (Hochschule für Technik und Wirtschaft und Universität Hamburg) für ihre Arbeit „Analyse des lettischen Wohlfahrtsstaates aus genderzentrierter Perspektive“ ging. Die Laudatio hielt Dr. Sünne Andresen für den wissenschaftlichen Ausschuss von efas. Mit einem klar strukturierten und sehr souverän vorgetragenen Vortrag zur Anlage ihrer Arbeit und zu den wichtigsten Ergebnissen schloss Dorothee Hintz die Tagung ab. In der nächsten Ausgabe des efas-Newsletters, der dieses Jahr im Januar 2022 erscheint, wird Dorothee Hintz ihre Arbeit ausführlich vorstellen.
Das online Format hat es auch in diesem Jahr wieder möglich gemacht, Forscherinnen und efas-Mitglieder aus dem ganzen deutschsprachigen Raum zusammenzubringen. Besonders der Austausch im Forschungsforum wurde sowohl von den Zuhörerinnen als auch den Vortragenden als bereichernd empfunden. Nichtsdestotrotz macht sich eine allgemeine online-Müdigkeit bemerkbar, weshalb wir sehr hoffen, uns für die nächste efas-Tagung 2022 wieder in Präsenz treffen zu können.
Ob nach oder noch in der Pandemie, die Beiträge der efas-Tagung 2021 haben Hinweise geliefert, wie die Geschlechterperspektive wirtschaftspolitisch berücksichtigt werden könnte und müsste. Der Vortrag von Dr. Michaela Fuchs zu den Auswirkungen der Pandemie auf Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die makroökonomische Perspektive von Prof. Dr. Heike Joebges sowie die konkreten politischen Einschätzungen zum Status quo einer geschlechtergerechten Familienpolitik von Prof. Dr. Miriam Beblo haben aufgezeigt, dass konkrete politische Handlungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten bestehen. Die von Dr. Elisabeth Klatzer beschriebene Dringlichkeit, Care ins Zentrum des Wirtschaftens zu stellen, wird von der Covid-19 Pandemie verstärkt und ist somit zentral für eine geschlechtergerechte Wirtschaftspolitik während und nach Covid-19.